Interview über den Zughundesport
Ana Hesse
ist Inhaberin der Hundeschule Kids & Dogs Schaumburg mit dem Arbeitsschwerpunkt Kind und Hund und hat mich zu meinem Arbeitsfeld als Zughunde-Coach für Familienhunde befragt. Das Interview ist ein informatives Sammelsurium bestehend aus 23 Fragen über den Zughundesport und meine Arbeit.
Frage: Was genau heißt A.P.O.R.T.?
Antwort: Alternativ Pädagogisch Orientiertes Reality Training
Frage: Zughundesport – da denkt man zuerst an Schlittenhunde, Schnee und Huskys. Wie kommt man hier bei uns, wo nur selten viel Schnee liegt, zum Zughundesport und seit wann betreibst du diesen Sport?
Antwort: Ganz ohne mein Wissen habe ich den Sport vor über 30 Jahren begonnen. Als junges Mädchen war ich sehr viel mit meinem Fahrrad und Hunden unterwegs. Man muss sich das so vorstellen, dass es damals weder Telefon noch Auto gab. Alle Wege wurden zu Fuß, mit dem Bus, der Bahn oder eben mit dem Fahrrad erledigt. Dabei habe ich mich eher aus Bequemlichkeit ziehen lassen und meine Hunde waren beschäftigt. Equipment gab es auch nicht, also wurden die Hundeleinen in der rechten Hand gehalten und in der Linken der Fahrradlenker. Das war aus heutiger Sicht zwar etwas abenteuerlich, ging aber ganz gut.
Als das erste Schlittenhunderennen 2009 in Bielefeld stattfand, war ich als Hundetrainerin sehr interessiert. Ich fragte mich: „Was ist Schlittenhunderennen ohne Schnee und was findet da eigentlich statt?“ Wir, meinem Mann und ich, waren damals wohl so ziemlich die einzigen Zuschauer. Ich war sofort Feuer und Flamme für diesen Sport, der vollkommen ohne Schnee auskommt. Auf Rädern jubelnd durch den Matsch preschen fand ich sofort mega klasse. Und die damals noch in der Teilnehmerzahl recht wenigen aber enthusiastischen Musher wohl auch. Als Zuschauer merkte man sofort, diese Menschen sind Individualisten, sie brennen für ihre Hunde und für ihren Sport. Das hat mich nicht nur an meine Jugendzeit erinnert sondern auch sehr begeistert und einfach mitgerissen. Heute ist dieses Rennen eine große Veranstaltung mit tausenden Besuchern.
Frage: Was genau fasziniert Dich an diesem Sport?
Antwort: Die Hunde selbst. Sie sind mit so einer großen Begeisterung bei ihren Aufgaben. Oft haben sie ein Lächeln im Gesicht und nehmen die Aufgabe, das Gespann zu ziehen, auch sehr ernst. Wenn ich auf dem Scooter stehe spüre ich die Kraft, die mein Hund hat. Manchmal erschrecken sich Workshopteilnehmer davor, wie stark ihre Hunde sind. Es ist ein irres Feeling, wenn der Wind um die Ohren weht und dein Hund mit größter Begeisterung auf dem Trail zieht. Man spürt, wie sehr man mit seinem Hund Eins wird, man ist ja auch indirekt eine Einheit. Das ist einfach fantastisch 🙂
Frage: Musstest du dafür eine extra Ausbildung absolvieren oder hast du dir den Sport eigenständig erschloßen ?
Antwort: Müssen nicht, aber ich bin sehr wissensdurstig, deshalb habe ich anfangs ein Seminar belegt und anschließend eine mehrstufige Coach-Ausbildung zum Zughundetrainer absolviert, die sich über 2 Jahre gestreckt hat. Zusätzlich habe ich Seminare über Bewegungsanalysen und Fortbewegung unserer Vierbeiner belegt.
Frage: Welche Formen des Zughundesport gibt es?
Antwort: Eine sinnvolle Unterteilung ist in Profisport und Breitensport. Wobei es in beiden Bereichen die sog. Schnee und Matschrennen gibt. Unterschieden wird auch in den Längen der Trails, die von Kurzstrecken (ab 2km) bis hin zu extrem langen Strecken (1800km) reichen. Auch eine Unterteilung in Kleingespanne (1-4 Hunde) und Großgespanne (ab 5 Hunde und mehr) wird vorgenommen. Es gibt neben dem traditionellen Schlitten auch den Pulkasport, Skijöring, Huskywandern (auch Husky Trekking genannt), das Bollerwagen ziehen, Canicross, Bikejöring, Dogscootern. Weiter gibt es das Sulky, das Sacco Cart und den Kickspark.
Frage: Und jede dieser Formen hat bestimmte Geschirre und Gespanne? Müssen die Geschirre extra für den jeweiligen Hund angefertigt werden?
Antwort: Das richtig sitzende Geschirr ist DIE wichtigste Ausstattung für Musher. Damit es genau sitzt muss es am Hund angepasst werden. Es gibt verschiedene Spezialgeschirre, aber das gängigste ist wohl das sog. X-Back-Geschirr. Auch als Gespanne gibt es je nach Sportart sehr unterschiedliche Geräte. Grundsätzlich unterscheidet man nach Gespann mit Kufen für Schnee und Gespann mit Räder für Matsch.
Frage: Wo lässt man so etwas machen?
Antwort: Ich vertreibe die Geschirrkollektion meiner Mentorin, Xenia Brunk. Sie ist u.a. auch Sattlerin und produziert eine eigene Kollektion mit dem Namen „Zughundezentrum“. Diese Kollektion besteht aus 33 Größen und hat 3 verschiedene Grundformen. Es gibt aber auch andere Hersteller, die sich auf Geschirre spezialisiert haben. Zurzeit ist es noch schwierig eine Maßanfertigung zu erhalten, da es noch keinen großen Markt dafür gibt. Ein Hund muss sich in seinem Kleidungsstück wohl fühlen, sonst läuft er nicht gern. Wer einmal ein passendes Geschirr für seinen Hund gefunden hat wird es nicht mehr hergeben wollen.
Frage: Kann ich mit jedem Hund Zughundesport betreiben oder gibt es bestimmte Voraussetzungen, die der Hund dafür mitbringen muss ?
Antwort: Eine Mindestgröße von 50 cm und ein Gewicht von mindestens 20kg sollte ein Hund schon haben. Die Maße sind aber auch in Anhängigkeit von der zu ziehenden Last zu sehen. Gesund muss der Hund auf jeden Fall sein, wobei der Bollerwagen da eine Ausnahme bildet. Ein Bollerwagengespann wird vom Hundehalter im Schritt geführt und für einen Muskelaufbau kann das Ziehen einer Last bei Arthrose erkrankten Hunden vorteilhaft sein. In Abstimmung mit dem Tierarzt und einer Physiotherapeutin ist ein Bollerwagentraining deshalb u.U. sehr sinnvoll.
In Abhängigkeit von der Rasse kann mit einem intensiven Training ab einem Alter zwischen 18-24 Monaten begonnen werden. Einfache Einstiegsübungen können jedoch auch früher durchgeführt werden.
Es gibt Gespanne, da ist ein perfekter Gehorsam nicht so relevant. Vieles erlernt der Hund auch im Laufe des Trainings. Bei anderen Gespannen wie z.B. dem Sulky ist ein absoluter gehorsam notwendig.
Frage: Gibt es eine Gewichtsbegrenzung, welches Hunde ziehen dürfen?
Antwort: Als Richtwert gilt: Ein Hund kann im Schnitt das 4fache seines Eigengewichtes ziehen. Zwei Hund jeweils sein 3faches Gewicht. Wichtig ist auch zu wissen, dass bei allen Gespannen, die Last nicht zu leicht sein darf, sonst ist eine Unfallgefahr zu groß.
Frage: Gibt es eine Geschwindigkeit, die man im Zughundesport nicht überschreiten darf?
Antwort: Ganz klares Nein. Weder nach unten noch nach oben. Ein Bollerwagen kann auch sehr langsam gezogen werden. Und nach oben gibt es keine Grenze, so lange es dem Hund seiner Gesundheit nicht schadet.
Bei sehr schnellen Fahrten sollte der Musher allerdings die Gefahren sehr gut einschätzen können, sonst ist die Unfallgefahr zu hoch.
Frage: Darf man Zughundesport überall betreiben oder gibt es dazu Regelungen im Straßenverkehr und der freien Landschaft?
Antwort: Diese Frage ist derzeit nicht eindeutig zu beantworten, da fachliche Aussagen, was erlaubt und nicht erlaubt ist, weit auseinander gehen. In der Straßenverkehrsordnung kommen Hundegespanne heute nicht mehr vor. Unterscheiden sollte man wohl mit welcher Art Zughundesport man unterwegs ist. Als Canicrossler ist man zuerst einmal Läufer und darf sich überall dort aufhalten, wo eben auch Fußgänger gehen dürfen. Ebenso mit dem Bollerwagen, der ja direkt im Schritt vom Hundehalter geführt wird. Als „besondere Fortbewegungsmittel“ können 2rädrige Gespanne (Dogscooter) einstuft werden, die nach §24 STVO ähnlich wie Kinderroller und Inline-Skates als nicht motorbetriebene Fortbewegungsmittel gelten. Das Mitführen von Hunden am Fahrrad (Bikejöring) ist zwar erlaubt, die Anbindeform jedoch nicht geregelt. Und für 4rädrige Gespanne (Trainingswagen) ist die Frage offen ob diese als kutschähnliches Gefährt gelten.
Egal wie man sich als Musher in Deutschland bewegt, es sollte für alle Begegnungen und Beteiligten gegenseitige Rücksichtnahme, besonders vorsichtige Fahrweise bei Begegnungen und verständnisvolles sowie nettes Verhalten im Allgemeinen gelten.
Frage: Welche Verletzungsgefahren gibt es für die Hunde bei diesem Sport?
Antwort: Sie können sich die Ballen aufschneiden, sich Muskelverzerrungen holen, der Kreislauf kann versagen, Verletzungen bei Zusammenstößen sind möglich. Es gibt sehr viele Möglichkeiten der Verletzungen und Gefahren. Es liegt in der Hand des Mushers durch vorausschauendes Handeln auf seine Hunde zu achten und sie vor Gefahren zu bewahren.
Frage: Und für den Menschen?
Antwort: Manch ein Kleingespann (auch mit einem Hund) ist mit über 35 km/h unterwegs, da ist die Sturzgefahr schon recht hoch. Zumindest das Tragen eines guten Helmes sollte für jeden Musher eine Pflicht sein. Auch das Tragen einer Schutzbrille ist nützlich. Vorausschauendes Fahren und in nicht einsehbaren Kurven mit eventuellen Hindernisse rechnen, kann sehr wertvoll sein. Je nach dem wo und wie man unterwegs ist, ist es mehr oder weniger gefährlich. In einer wenig besiedelten Schneelandschaft kann man sich schnell verirren. In NRW z.B. schaut man eher, dass kein Fußgänger umgefahren wird 😀
Frage: Muss ich meinen Hund besondere Pflege angedeihen lassen wie z.B. Pfotenschutz?
Antwort: Zughunde brauchen dringend ausreichend Ruhetage, als Erholung und Regenration, zwischen den Trainings. Massagen tuen dem Hund gut und unterstützen eine Gesunderhaltung der Muskulatur. Es ist ratsam seinen Hund in regelmäßigen Abständen einer Hundephysiotherapeutin vorzustellen. Die Pfoten sollten regelmäßig kontrolliert werden. Ein spezieller Pfotenschutz wird in Abhängigkeit von Klima und Bodenbeschaffenheit eingesetzt. Ich z.B. habe immer ein paar Booties dabei. Spezielle Cremes sind für Eis und Schneezeiten sinnvoll.
Frage: Muss ich meinen Hund speziell füttern, wenn er Zughundesport macht oder braucht er Futterzusätze?
Antwort: Für den Breitensport braucht es keine spezielle Fütterung. Profisportler müssen allerdings auf ihre Hunde ernährungstechnisch spezieller achten. Ein Hund verbraucht z.B. ca. 60% der zugeführten Energie zum Wärmeerhalt. Das ist für den Sport im Schnee und bei Minustemperaturen besonders wichtig. Aber auch die vermehrte Muskeltätigkeit verlangt nach mehr Energie bzw. ausreichend Nahrung. Was allerdings bei allen Mushern gleich ist, ist die Wasserversorgung vor einer Tour, die nicht zu kurz kommen darf. Man nennt das den Hund „Wässern“. Die Körpertemperatur steigt während des Rennens auf bis zu 3°C an und der Hund gleicht diese Schwankung über Hecheln aus. Ein Großteil des gespeicherten Wasserhaushaltes geht so durch das Hecheln verloren. Damit ein Hund nicht dehydriert reicht man ihm vorher eine ausreichende Menge Wasser.
Frage: Ist es notwendig selbst sportlich fit zu sein, oder ist der Sport für Jedermann/Jederfrau möglich?
Antwort: Jeder, der sich fit genug fühlt, kann diesen Sport nach seinen Ansprüchen betreiben. Im Zughundesport ist ja alles möglich, vom Bollerwagen ziehen mit gemütlichen 6 km/h bis zum Extremsport. Keine Wünsche bleiben offen…. 🙂
Frage: Wie schnell kann man diesen Sport erlernen?
Antwort: Der Mensch kann das in der Regel sofort. Es ist ähnlich wie beim Autofahren. Die Basics erlernt man am Besten in einem Workshop, aber sicheres Fahren erlernt man erst in der täglichen Praxis und mit der Zeit. Bei Hunden ist es verschieden. Es gibt Hunde die scheinen sofort zu wissen was sie tun dürfen. Für einige Hunde muss der Besitzer ein bisschen Geduld mitbringen, da kann es u.U. eine Zeit dauern, bis sie verstanden haben, dass Ziehen erlaubt bzw. gerade gewünscht ist.
Frage: Gibt es Hunde, die sich gar nicht anschirren lassen oder kann man jeden Hund daran gewöhnen?
Antwort: Einige sehr wenige Hunde finden das Geschirr tragen etwas ungewöhnlich. Aber die meisten Hunde haben gar keine Probleme ein Zuggeschirr zu tragen, wenn es gut sitzt.
Frage: Werden Hunde – ähnlich wie Pferde – über das Geschirr und Zügel gelenkt?
Antwort: Die Hunde arbeiten selbständig. Bei einer Seilanspannung werden die Hunde einzig über Signale gelenkt. Bei einer Bügelanspannung haben sie etwas mehr Führung, lenken muss der Hund jedoch immer allein.
Frage: Wie lange darf ich zeitlich die Trainingseinheiten gestalten?
Antwort: Je nach Alter und Kondition des Hundes kann das Training recht unterschiedlich aussehen. Ich denke, jeder Hundehalter erkennt die Leistungsgrenze seines Vierbeiners. Am Anfang sind die Strecken u.U. sehr kurz, manchmal auch nur 500 Meter. Es gibt auch Hunde die laufen nach kurzer Zeit schon ihre 10 km, da gibt es keine Faustregel.
Frage: Kann ich saisonal verschiedene Formen des Zughundesports mit einem Hunde anwenden. Im Winter mit dem Schlitten und im Sommer mit dem Scooter?
Antwort: Ja, das geht ohne Probleme.
Frage: Wie bei jedem Sport, gibt es auch hier sicher Wettkämpfe?! Ist es notwendig, sich einem Verein anzuschließen, um an Meisterschaften teilnehmen zu können, oder kann ich das auch als Privatperson?
Antwort: Die meisten Veranstalter solcher Meisterschaften bieten eine Teilnahme auch für Gäste also Nichtvereinsmitglieder an. Es gibt allerdings die Überlegung Meisterschaften in bestimmte Teilbereiche zu gliedern, was ich persönlich auch für sinnvoll halte. Die Anforderungen an die zu absolvierenden Strecken sind an das jeweils eingesetzte Gefährt und auch an die Unterbringung der Teilnehmer sehr stark voneinander abweichend. Ich denke, da wird sich in Zukunft noch einiges verändern, denn der Zughundesport im Bereich Familienhund wächst rasant, da solche Meisterschaften für Hund und Mensch sehr lohnenswert sind wird sich die Teilnahme der Gästeliste in Zukunft stark erhöhen.
Du bietest Seminare und Workshops in Ahrensbök an. Kann man Dich als Dozentin auch anderorts buchen?
Antwort: Ja, selbstverständlich. Nicht nur für Einsteigertrainings und die Coach-Ausbildung, auch in anderen Hundethemen referiere ich gerne außerhalb.
Vielen Dank für das ausführliche Interview 🙂
Ana Hesse
Ich danke ebenfalls 🙂 es hat mir viel Spaß gemacht Deine Fragen zu beantworten.